PATTI SMITH
Mainz, Zitadelle
Text & Pics: Prof. Dr. Christof Graf
Stadteinwärts begrüßt den Mainz-Reisenden ein Schild, auf dem Johannes Gutenberg abgebildet ist, mit der Aufschrift: „Willkommen in der Gutenbergstadt – Erfinder und Medienrevolutionär“. Auf Gutenberg wird Patti Smith später bei ihrem Deutschlandtourauftakt in der Mainzer Zitadelle noch eingehen. „Erfinderin“ ist die am 30. Dezember 1946 geborene Singer/ Songwriterin, Schriftstellerin und Rockpoetin schließlich auch. „Erfinderin“ von Worten. Aber vor allem ist sie mit knapp 79 Jahren noch immer die „Godmother of Punk-Rock“. „Poetin des Punkrock“ nannte sie einmal DER SPIEGEL. „Rock-Diva“ die NZZ und „Seelenverführerin“ die FAZ. Vielleicht aber hat R.E.M. Frontmann Michael Stipe die viel bessere Beschreibung für Patti Smith parat, wenn er sie einfach nur „Queen Of Cool“ nennt. Die „Meisterin der Anbetung und der Anverwandlung“ (TAGESSPIEGEL) und „einzigartige Mystikerin“ (FAZ) weiß jedenfalls noch immer mit einer „charismatische Bühnenpräsenz“ (ROLLING STONE) zu bestehen.
Am Dienstag, dem 1. Juli eröffnet Patti Smith bei 38 Grad Celsius ihre Open Air- bzw. Zeltfestival-Tournee in der fast ausverkauften Zitadelle vor knapp 3000 Zuschauer.
Neun Konzerte (oder einfach „Jobs“, wie die Arbeitertochter ihre Shows gerne bezeichnet) wird sie mit dem „Patti Smith Quartett“, ihre derzeit reduzierte Begleitband hierzulande im Juli 2025 spielen.
Kaum eine Künstlerin ist derart vollendet in der Lage, Bühnen mit ungeheurer Präsenz zum Leuchten zu bringen, wie Patti Smith. Grosse Bühnenlichtshows und Bildleinwände benötigt sie hierfür nicht. Die gibt es nicht. Die Bühne wirkt quasi spartanisch und nur mit Instrumenten und etwas Licht ausgestattet. Die Smith mag es puristisch. Die Smith mag es mit wenigen Akkorden, betörendem Sprechgesang und ausufernder Händegestik zu beeindrucken und nicht mit Dingen, die von dem ablenken, was ihr wichtig ist: Texte. Mit der Würde einer ergrauten Punk-Schamanin ist sie vielleicht ein wenig weniger energiegeladener und zurückhaltender in ihren Bewegungen als in ihrer Jugend, nicht aber ausdruckloser. „If you go on stage, you have to put yourself on risk”, hat Leonard Cohen einmal gesagt, und es gibt wohl kaum eine Künstlerin, die diese Forderung so perfekt verkörpert wie Patti Smith: Ihre Konzerte sind einmalige Performances, ohne Netz und doppelten Boden, ganz im Hier und Jetzt und eins mit ihrem Publikum. 50 Jahre ist es her, dass Patti Smith mit dem legendären „Horses“-Album debütierte. Vor zehn Jahren stellte sie das komplette Album noch einmal live in ihren Shows vor. Zehn Jahre später bietet sie in Mainz ihrem Publikum einen Einblick in ihre mittlerweile 50 Jahre anhaltende Karriere als Album-Künstlerin. Vom „Horses“-Album (1975) stellt sie nur „Redondo Beach“ vor, der als Opener ausgewählt ist. Erst bei anderen europäischen Konzerten soll es mehr vom „Horses“-Album geben, heißt es. Dann sollen auch Gitarrist Lenny Kaye und Schlagzeuger Jay Dee Daugherty mit dabei sein, die damals bei „Horses“ mitgewirkt haben. In Mainz ist erstmal „Quartett-Musik“ mit 14 Songs angesagt.
Nach dem „Horses“-Song zitiert sie ein Gedicht zu Ehren des bevorstehenden 90. Geburtstags des Dalai Lama. Die 3000 hören der „Grande Dame der Rockmusik“ andächtig zu. Mutig, das vor 3000 gleich zu Beginn eines Konzertes mit Erwartungshaltungs-Charakter bei sommerlicher Hitze zu tun. Für eine Patti Smith ist es business as usual, mit der Kraft der Worte zu überzeugen, wenn es darum, geht sich in ihren Texten für Unterdrückte, Vernachlässigte und Vergessene einzusetzen. Nach dem Steve Earle-Cover „Transcendental Blues“ begibt sich die Smith an den Bühnenrand, um angesichts der Hitze zu verschnaufen. Ihre Band mit Sohn Jackson an der Leadgitarre, Keyboarder, Gitarrist, Bassist und Zweitstimme Tony Shanahan und Schlagzeuger Seb Rochford improvisieren spontan Sly Stones „Everyday People“. Das Publikum hat mehr als Verständnis, sogar Anerkennung für die kleine Schwäche, die mehr als Stärke zeigt. Höhepunkt des knapp über 90 Minuten langen Konzertes sind „Man In The Long Black Coat“ von Bob Dylan, „Pissing in a River“ der „Patti Smith Group“ und natürlich das zusammen mit Bruce Springsteen geschriebene „Because The Night“.
Am Anfang noch mit Brille und schwarzem Blazer das Konzert beginnend, bei zwei Songs zur Gitarre greifend und schnell Blazer und Brille ablegend, ist Patti Smith bei vielen Songs vom frenetisch jubelnden Mainzer Publikum gerührt. Leidenschaft, Hingabe und Überzeugung für das einzustehen, was sie singt und sagt, verkörpert die Frau, die schon immer auf das Innere mehr Wert legte. Wenn Sie zur Gitarre greift, post sie wie eine Rockerin, wenn sie ins Mikrofon schreit oder auch mal auf den Bühnenboden spuckt, wirkt sie wie eine Punkerin, immer aber ist sie authentische Liedermacherin, deren Aura man sich nicht entziehen kann. Zwischen den Songs erzählt sie kleine Anekdoten, wie z.B. dass sie Gutenberg als der wichtigste Mann in den Medien ansieht, weil er den Buchdruck erfunden hat. Sie erzählt von ihren literarischen Einflüssen wie Burroughs, Gainsbourg und Blake und erinnert daran, jedes tote Kind eines zu viel sei, wenn sie über die Unnötigkeit von Kriegen spricht. Johannes Gutenberg habe in ihrem Mädchenzimmer an ihrer „Wall of Heroes“ neben Johanna von Orleans, Alice im Wunderland und William Blake gehangen.
„Because the Night“, der (vor-)letzte Song widmet sie ihrem 1994 verstorbenen Ehemann Fred „Sonic“ Smith, Vater von Gitarrist Jackson und verabschiedet sich in die noch immer heiße Nacht des Mainzer „Summer In The City“-Festivals. Am Ende bleibt als Zugabe nur noch ein weiteres Mal in Erinnerung zu rufen: „People Have The Power“ und dass man nicht vergessen sollte, bei den Temperaturen viel Wasser zu trinken. Alles, was Patti Smith zu sagen hat, scheint mehr als nur Gewicht zu haben.
Setlist: Redondo Beach/ Ghost Dance (Patti Smith Group song)/ Dalai Lama Birthday Poem/ 1959/ Transcendental Blues (Steve Earle cover)/ Boy Cried Wolf/ Sly Stone cover (band only)/ Dancing Barefoot (Patti Smith Group song)/ Man in the Long Black Coat (Bob Dylan cover)/ Gone Again/ Song about Gaza/ Pissing in a River (Patti Smith Group song)/ Because the Night (Patti Smith Group song)/People Have the Power
Weitere Deutschland-Tourdaten/ Sommer 2025:
01.07.2025 Mainz, Zitadelle (open air)
02.07.2025 Stuttgart, Freilichtbühne Killesberg (open air)
09.07.2025 Hamburg, Stadtpark Open Air
11.07.2025 Berlin, Citadel Music Festival (open air)
14.07.2025 München, Tollwood
15.07.2025 Plassenburg Open Air
17.07.2025 Dresden, Junge Garde (open air)