Fotos: Christof Graf
Linkin Park
Special Guests: The Architects, „Jpeg“
Deutsche Band Park, Frankfurt a.M.
An welcher Stelle beginne ich die Geschichte über den zweiten und damit letzten Auftritt von Linkin Park auf der Deutschlandtournee 2025 im Deutsche Bank Park in Frankfurt a.M.? Vielleicht beginne ich die Geschichte mit der immens großen Erwartungshaltung der Fans an diese Tournee und der ebenso großen Spannung, wie sehr sich die neue Sängerin der kalifornischen Nu-Metal-Band Emily Armstrong in das Band-Gefüge integriert. Vielleicht beginne ich die Geschichte über das zweite Frankfurt-Konzert auch mit den Fragen, wie die alten Songs von Linkin Park mit der neuen Stimme klingen werden und wie die neuen Songs bei der Linkin Park-Community ankommen werden? Vielleicht beginne ich die Geschichte aber auch mit der Frage, wie sehr sich Emily Armstrong live aus dem Schatten der Vergangenheit der 1996 gegründeten Band lösen kann und ob der Geist des durch Suizid 2017 aus dem Leben geschiedenen Chester Bennington mit dem neuen Album „From Zero“ (2024) und der seit letztem Jahr währenden World-Tour verflogen ist?
Die Antworten werden schnell gegeben. Pünktlich, nein nicht pünktlich, sondern erst um 20.45 Uhr beginnt auf den LED-Leinwänden der die Stadion-Breite ausnutzenden Linkin-Bühne ein Countdown von 10 Minuten herunter zu zählen. Um 20.55 Uhr beginnt schließlich das ziemlich exakt zwei Stunden lange Linkin Park – Konzert mit dem Song „Somewhere I Belong“.
Zuvor gibt es zwei Special Guests: Ja, sorry, die eher etwas sich verloren kommenden „jpegmafia“, lassen die Frage leider unbeantwortet, was die da auf der Bühne eigentlich sich und dem Publikum antun. Das Publikum behandelt sie, als seien sie bei ihrem ca. 30 minütigen Auftritt gar nicht anwesend. Den Frontmann und „Kopf“ der Band, ein US-amerikanischer Rapper, Sänger und Musikproduzent namens Barrington DeVaughn Hendricks oder auch einfach nur „Jpeg“ genannt, scheint das nicht zu kümmern. Er entzieht sich eh mit Kopftuch und Hoody den Blicken der Öffentlichkeit und spaziert von Bühnenende zu Bühnenende und artikuliert Dinge, die man eh nicht versteht und wohl den musikalischen Genres Experimental Hip-Hop, Lo-Fi und Emo-Rap zurechnet. Als sich das gesichtslose Hoody verabschiedet, fällt das dann auch nicht weiter auf. Die halbstündige Pause danach ist wohl verdient. Anstehen an Bier- und Merch-Ständen sowie an den Toilettenschlangen ist angesagt.
Dann betritt die 2004 gegründete Metalcore-Band „The Architects“ aus dem englischen Brighton die Bühne. Sie zeigt sowohl lautstark- wie auch performancemäßig, wozu ein Special Guest eigentlich da ist: Abzuliefern und Anzuheizen. Beides tun der seit 2007 der Band angehörige Frontmann Samuel David Carter und seine Mitstreiter Adam Christianson (g), Alex „Ali Dino“ Dean (bg) und Dan Searle (dr). Wo zuvor beim „jpeg“ die Bühne zu groß war, wussten die „Architekten“ mit den Ausmassen der Bühne bei ihrem knapp 40 minütigen Set besser zurecht zu kommen. Stimmgewaltig weiß Carter das Frankfurter Publikum richtig abzuholen und besonders mit den letzten drei vier Songs an Linkin Park zu erinnern und auf das bevorstehende Soundspektakel einzustimmen.
Frankfurt a.M., 9. Juli 2025, 20.55, das zweite Konzert in Frankfurt und das letzte in diesem Jahr von Linkin Park in Deutschland. Mike Shinoda an Gitarre, E-Bass, Keyboard und Gesang ist das einzige seit Anbeginn der Linkin Park-Zeit permanent in der Band gewesene und verbliebene Gründungsmitglied. Mit Songs wie „Crawling“, „Cut the Bridge“ und „New Divide“ stellt er den Kultstatus von Linkin Park unter Beweis. Mit „The Emptiness Machine“ kommt der erste Song vom neuen „Armstrong“-Album „From Zero“. Das Konzert ist in vier Akte unterteilt. „Emptiness“ ist der letzte Song vom ersten Akt und wirkt ein wenig wie eine musikalische Brücke von der alten in die neue Zeit von Linkin Park. Schon die Titel der Songauswahl im ersten Akt geben Hinweise für die Zeitenwende bei Linkin Park nach Chesters Freitod. Linkin verleugnen ihre Vergangenheit natürlich nicht, wenn sie „alte“ Lieder singen. Nein, es geht nicht darum, „Chester Bennington“ zu ersetzen. Es geht aber auch nicht darum, an der Vergangenheit und am Tod des kulthaften Sängers festzuhalten oder gar wegen dessen Ableben, auch das Ableben (s)einer Kultband zu besiegeln. Angesprochen wird die Thematik „Chester“ von der Band während des Konzertes nicht. Aber die Texte seiner früheren Lieder, die so oft von Melancholie und Düsterkeit erzählten, erklären posthum, wie sein Inneres tatsächlich war, das ihn in den Freitod führte . Live ohne ihn erfahren eine intensivere Bedeutung als je zuvor.
Die Bühnenpräsenz von Sängerin Armstrong, die Linkin Park nicht nur eine neue Stimme sondern auch ein neues Gesicht gibt, lassen den Geist Chester Bennington zu einem guten werden. Vom neuen Album werden neben „Emptiness“ noch vier weitere, jeweils zwei im zweiten Akt ( „Over Each Other“ und „Two Faced“) und zwei im vierten Akt („Heavy Is The Crown“ und „Overflow“) präsentiert. Die 39jährige, aber viel jünger wirkende Armstrong drängt sich nie in den Vordergrund. Sie lässt vor allem in der ersten Hälfte des Abends Shinoda bei den langgedehnten Rap-Phasen den Vortritt bei der Performance.
Shinoda selbst sucht des Öfteren die Publikumsnähe. Er geht im Rap-Step die Gangway herunter ins Publikum, läuft hin und her, springt in den Bühnengraben, lässt sich von einem Fan etwas auf den Arm schreiben, schreibt selbst etwas darauf und schüttelt massenweise Hände. Noch vor „Emptiness“ zieht er einen Zettel hervor und meinte auf Deutsch nur: „Das was ich euch jetzt sagen werde, wird der Rest der Band mangels Deutschkenntnisse nicht verstehen: „Danke, dass ihr heute gekommen seid. Den nächsten Song widmen wir euch.“ Damit ist das Eis gebrochen und die Zeitenwende vollzogen. Danach ist Armstrong-Zeit angesagt. Sie macht Chester Bennington nicht vergessen. Sie schlägt lässig mit Dutt im Haar und mit einer ihrer eigenen Art ein neues Kapitel dieser Supergroup der Gen Z auf.
Brachial ist nicht nur die Lautstärke im Stadion, brachial wirkt auch die Licht-Show, die mehr wie die Visualisierung der Linkin-Songs wirkt. Es werden nicht wie sonst üblich die Akteure abgefilmt und überdimensioniert auf Leinwände projiziert. Es werden die Protagonisten durch eine „KI“-Software gejagt, um Fantasie-Gebilde entstehen zu lassen. Mal läuft Flüssigkeit über die Körper der Bilder, ohne dass Nässe entsteht, mal kommen Meereswellen auf einen zu, mal gerät man in ein Laser-Gefecht. Die Musik ist Soundtrack für die Bilder, die Bilder sind Filmwelten für die Musik. Alles geht. Am Ende sind es 27 Songs, die Linkin Park präsentieren. Bei „One Step Closer“ gesellt sich sogar der Architects-Frontmann Sam Carter kurz zu Armstrongs Gesang dazu und verschwindet ebenso schnell wieder, wie er aufgetaucht ist. Eine nette Geste der gegenseitigen Bewunderung.
Das Publikum goutiert mit tosendem Applaus und Mitsing-Chören, dort wo es sich anbietet. Mosh-Pits werden gebildet, dann, wenn vor allem Shinoda dazu auffordert, welche zu bilden. Das Stadion kocht. Die Bühne scheint im Hintergrund in schnellen Filmschnitten geradezu virtuell abzubrennen.
Bei Klassikern wie „Numb“, „Faint“ und „Bleed It Out“ als Zugabe sind alle Fragen beantwortet. Armstrong ist kein Ersatz für Chester Bennington, aber die personifizierte Fortführung der Erfolgsgeschichte von Linkin Park. Alte wie neue Lieder werden alle bedient. Egal, ob beim sonst für Bennington typischen Shouten oder Sceamen, sie trift die Töne dort, wo sie getroffen werden wollen. Die Erwartungshaltung beim Publikum ist erfüllt. Die Band schaut in glückliche Gesichter, das Publikum schaut in glückliche Gesichter der Band. Die Vergangenheit ist nicht vergessen, aber es ist Platz für die Zukunft von Linkin Park auch ohne Chester Bennington. Die sieben Jahre Pause seit dessen Tod, wirken wie Heilung für alle. Die Feuertaufe von Emily Armstrong ist bestanden. Linkin Park sind Dank eines überzeugenden „From Zero“-Albums und einer dazugehörigen Welt-Tournee zurück im Hier und Jetzt.
2026 kommen Sie wieder, dann sind Linkin Park Headliner bei „Rock am Ring/ Rock im Park“ vom 05. bis zum 07. Juni 2026.
P.S.: Vielleicht endet die Geschichte aber auch mit den Fragen, nimmt man die Straßenbahn zurück in die City, wenn man dort aufgrund des Anfahrtstaus geparkt hat oder nimmt man ein Taxi, wenn man denn überhaupt eines bekommt, wenn 42.000 auf einen Schlag das Stadion verlassen? Entscheidet man sich fürs Taxi, warten hinter dem Stadion tatsächlich 1000 von insgesamt 1700 Frankfurter Taxis auf Fahrgäste.
SETLIST: Act I: Inception Intro B (with elements of „Iridescent“)/ Somewhere I Belong/ Crawling/ Cut the Bridge/ New Divide/ The Emptiness Machine; Act II: Creation Intro B (with elements of „Iridescent“)/ The Catalyst/ Burn It Down/ Up From the Bottom/ Where’d You Go/ Waiting for the End/ (2024 synth intro)/ Over Each Other/ Two Faced/ Joe Hahn Solo/ Empty Spaces/ When They Come for Me / Remember the Name/ IGYEIH/ One Step Closer (with Sam Carter); Act III: Break/Collapse/ Lost/ Good Things Go/ What I’ve Done; Act IV: Kintsugi/ Overflow/ Numb/ A Place for My Head/ Heavy Is the Crown/ Bleed It Out; Encore: Resolution Intro B (with elements of „Iridescent“)/ Papercut/ In the End/ Faint