Archiv für den Monat: Oktober 2025

KW-44-2025: „Zen-Momente bei Bob Dylan in Paris“ – Bob Dylan live in Paris 2025 – Review 2nd Night/ Konzertkritik, 31.10.25 – Tag 2 von 2 – Text & Fotos von Christof Graf (German & English)

Paris II (2025) ist mein fünftes Konzert in sechs Tagen. In Amerika brachte ich es beim dritten Leg der 2025er Outlaw-Festival-Tour einmal auf drei Outlaw-Dylan-Konzerte in drei verschiedenen Städten an einem Wochenende. Nach drei aufeinanderfolgenden Tagen in Brüssel, folgt mit „Paris II“ für mich ein Nachschlag in Sachen Konsum einer mehrfachen Wiederholung eines in diesem Jahr sich nicht veränderten Konzertformats. Würde sich denn bei meinem fünften Konzert in sechs Tagen etwas ändern? Warum sollte Dylan überhaupt etwas ändern wollen. Dylan tritt nicht für die auf, die der Aufführung seiner Werke wiederholt beiwohnen möchten. Er spielt auch nicht für die, die selbst im Jahr 2025 noch immer auf ein „Best Of…“ mit Songs wie „Blowin`in the Wind“ oder „Knockin` on Heaven`s Door“ hoffen. Er spielt für sich und für sein Werk. Seiner hohen Kunst der Wiederholung muss man sich stellen wollen. Immer ist das mit Aufwendungen verbunden. Tickets, Anfahrt und gegebenenfalls Übernachtungen machen die Kunsterfahrung aufwendig. Aber mit Dylan kommt man herum, reist viel, sieht viel. Auch damit eröffnet er Horizonte. Paris, 31. Oktober 2025. Das sind 13 Tage vor dem 10. Gedenktag an das entsetzliche Attentat auf das „Bataclan“ am 13. November 2015. Bei einem dortigen Konzert der „Eagles Of The Death Metal“ wurden durch einen terroristischen Anschlag 89 Menschen ermordet.

Paris, 31. Oktober 2025. Das ist auch ein Besuch auf dem „Père Lachaise“, dem legendären Pariser Friedhof, wo z.B. u.a. auch Edith Piaf, George Moustaki oder Jim Morrison begraben sind.

Paris, 31. Oktober 2025. Das bedeutet auch „Halloween“ in Paris. Spinnenweben und riesige Skelette an den Häusern, wie ich sie z.B. zwei Jahre zuvor bei Dylans Konzert in Montreal en masse gesehen hatte, sehe ich in Paris nicht.

Alles irgendwie Symbole, für das auch Dylans Album „Rough And Rowdy Ways“ steht: Reflexion über Vergangenheit und Gegenwart, Suche nach einer verlorenen Zeit, Bewusstwerden der Vergänglichkeit, Gedanken über Leben und Tod.

Nach dem Dylan-Konzert begegnen mir in der Pariser Innenstadt viele junge Menschen in Halloween-Kostümen oder stehen in solchen Kostümen vor Clubs an. Junge Menschen gibt es aber auch im Pariser Publikum. Mehr als in Brüssel. Von der Boomer-Generation über die Gen Y bis zur Gen Z ist alles präsent. Auch im Pariser Palais weht der Hauch des Abschiedes und die Wehmutsstimmung, Dylan womöglich ein letztes Mal in der französischen Hauptstadt erleben zu können. Irgendwann werden vielleicht, anstatt Konzerte von Bob Dylan nur noch sein Avatar zu sehen und hören sein. Irgendwann werden nur noch Biopics über Dylan zu sehen sein, anstatt ihn „live in concert“ erleben zu können. Apropos Promotion: Plakate zur Bewerbung der Pariser Konzerte gibt es 2025 kaum.

Die Konzerte waren schnell ausverkauft. Nur vereinzelt sieht man am 31. Oktober noch irgendwo in einem Metro-Schacht ein altes Plakat hängen. Omnipräsent dagegen ist die Plakatwerbung für den auf dem gerade auf dem Disney-TV-Kanal anlaufenden „Like A Complete Unknown“-Film.

Alles kleine Details, auf die man achtet, wenn man durch fremde Städte auf dem Weg zu Dylan-Konzerten pilgert. Ebenso achtet man auch auf die kleinen Details der Veränderung in den jeweiligen Konzerten, wenn man davon einige innerhalb kurzer Zeitabstände besucht. Paris II hat davon wieder einige zu bieten.

Dieses Mal bin ich etwa eine Stunde vor dem pünktlichen Konzertbeginn um 20.00 Uhr im Palais. Die Eingangskontrollen sind wieder moderat. Viele Pariser halten sich nicht an die Zwangsabgabe ihrer Smartphones, und schauen noch bis kurz vor 20.00 Uhr gelegentlich darauf, um kurz die Uhrzeit zu checken oder womöglich letzte news zu lesen. Sie halten sich aber an Dylans „Wunsch“, die Smartphones nicht während des Konzertes zu gebrauchen. Kein einziges Mal sieht man während Dylans 100 Minuten-Andacht ein Display aufleuchten. Wenn man Tickets für die nicht viel günstigeren Plätze im hinteren, gar oberen Bereich des Palais (für ca. 150 Euro) gekauft hatte, ist der Blick auf Dylan nicht schlechter, als wenn man im Parterre und auf den ersten 20-30 vorderen Plätzen sitzt. Die Akustik empfinde ich als zuträglich. Besser als am Tag zuvor. Der Sound kommt nicht an die letzten beiden Konzerte im Bozar heran. Trotz besserer Aussteuerung gegenüber dem ersten Abend, hallt der Klang zu „kalt“ in den Gemäuern der Kongresshalle nach. Aber er passt zu der spartanischen Darbietung, dem wenigen Licht und der Stimmung im Saal. Fast erinnert die Atmosphäre an die in einem „Zendō“, einem spirituellen Dōjō in Zen-Tempeln, in denen „Zazen“, also Meditation praktiziert wird. Ja, Paris II offeriert mir solche Zen-Momente. Der erste „Zen-Moment“ erschließt sich mir bei „Black Rider“. Später kommen weitere „Zen-Momente“, insbesondere bei den „Spoken-Word“-Songs wie z.B. bei „My Own Version Of You“, „Key West“ oder gar beim walzerartigen „Mother Of Muses“ hinzu. – Ich entziehe mich dem Standbild auf der Bühne, das nicht viel an Abwechslung zu bieten hat, schließe die Augen und steige zunächst in das Lied „Black Rider“ ein und begleite gedanklich den schwarzen Reiter. Er erzählt davon, sich mit seinem Leben abzufinden, mit Würde vorauszugehen, um schließlich ebenso würdevoll Abschied zu nehmen.

Ich erinnere mich an das Buch „Bargainin‘ for Salvation: Bob Dylan, a Zen Master?“ von Steven Heine von der Floria International University aus dem Jahr 2009. Darin äußert er Gedanken, wie Bob Dylans Wortgut mit Zen in Verbindung gebracht werden kann. Ich erinnere mich auch an einen Artikel mit dem Titel „Bob Dylan’s Zen Garden – Cross-Cultural Currents in his approach to religiosity“ des FIU Asian Studies Program vom gleichen Autor aus dem Jahr 2016, das Zen-Parallelen in Dylans Werk untersucht. (https://asian.fiu.edu/jsr/heine-dylanzen-article2.pdf)

Ja, Bob Dylan zeigte schon lange vor „Black Rider“ in der Vergangenheit schon zu Beginn seiner Karriere eine Affinität zum Zen, da viele seiner Texte die buddhistischen Konzepte von „Sehen, wie die Dinge wirklich sind“, moralischer Kausalität (Karma) und der Auseinandersetzung mit der Leere widerspiegeln. Zen-ähnliche Aspekte wie das Sehen, wie die Dinge wirklich sind, lassen sich in einigen seiner Songs erkennen. Gerade in Texten, die von den Beat-Poeten beeinflusst sind, scheint Dylan die Zen-Haltung zu spiegeln, indem er Täuschungen überwindet. Das Thema „Karma“, die Vorstellung, dass „jeder etwas zurückgeben muss für etwas, das er bekommt“ wird in schon in früheren Songs wie z.B. „Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again“ angesprochen. Und auch in „4th Time Around“ wird das thematisiert und ähnelt dem buddhistischen Karma-Konzept. Bei Songs der „The Basement Tapes“ wie z.B. „Too Much of Nothing“ und „Nothing Was Delivered“ erforscht Dylan z.B. die Auswirkungen der Leere oder die der spirituellen Leere.

Schon am ersten Abend, und vielleicht ist es wirklich nur der Atmosphäre dieses Kongresssaales geschuldet, entwickelt sich bei mir bei „Black Rider“ daher die Assoziation, Dylans Lyrik mit Zen zu verbinden. Nein, einen direkten, bewiesenen Zusammenhang zwischen den Liedern von Bob Dylan und dem Zen-Buddhismus gibt es ebenso wenig, wie die Blaupause für die Interpretation seiner Texte. Einige der RARW-Texte weisen aus meiner Sicht jedoch durchaus thematische Parallelen auf, die an Zen erinnern. Dazu gehören die Suche nach Wahrheit, die Darstellung von Paradoxen und die Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen, sei es nun Tod und nahende Vergänglichkeit in „Black Rider“ (Song No. 6), die Liebe in „My Own Version Of You“ (Song No. 7) oder eben das Leben in „To Be Alone With You“ (Song No. 8) und in „Crossing the Rubicon“ (Song No. 9).

Ein Großteil seiner (nicht nur) RARW-Songs handeln von einer Suche nach einem tieferen Verständnis oder einer Wahrheit, ähnlich der spirituellen Suche im Zen. Dylan kritisiert oft Werte, die auf die Überwindung von Anhaftung abzielt, was sich ebenso mit der Zen-Lehre erklären lässt. Dylans Texte enthalten oft paradoxe Bilder und behandeln existenzielle Fragen, die an die Paradoxa des Zen erinnern und die zum Überwinden des dualistischen Denkens anregen sollen. Gerade in den RARW-Texten reflektiert er über die menschliche Existenz und die Schwierigkeiten des Lebens, was auch ein zentrales Thema im Zen ist. In Paris II empfinde ich Dylans 17 Songs aufgrund der nüchternen, distanziert wirkenden Atmosphäre besonders als ein Angebot zur Meditation „in concert“. Ein Angebot zur Erfahrung des gegenwärtigen Augenblicks, des gegenwärtigen Bewusstseins. Glauben und Religion setzt er nicht voraus. Dennoch verlangt er das Einlassen auf seine Texte, was im Herbst 2025, seitdem er sich der Visualisierung seiner Person beim Vortrag geradezu entzieht und störende Elemente wie „Showelemente“, Licht und eben z.B. auch Smartphones nicht toleriert. Für die, die sich darauf bewusst oder unbewusst einlassen wollen, schafft er mit seiner gegenwärtigen Performance Raum, Zeit und Leere, fast wie in einem Zendō. Und er lässt Raum für neue Details. In „When I Paint My Masterpiece“ spielt er im Gegensatz zu Paris I noch ein drittes Mal Gitarre. Im Gegensatz zu Paris I greift er neben den bis dato bekannten „Harp“-Songs zusätzlich noch bei „Watching The River Flow“ und „Goodbye Jimmie Reed“ erneut zur Mundharmonika. Das ist seine Art der Interaktion mit dem Publikum, Worte an das selbige richtet er wieder nicht. Nach wenigen kurzen Erhebungen von seinem Klavierhocker und sekundenlangem Stehen ist die halbminütige Verabschiedung stehend und sich dem jubelnden Applaus stellend, die offensichtlichste Interaktion mit  dem im Vergleich zum Vorabend lauter und intensiver jubelnden Pariser Publikum. Auch honoriert das Pariser Publikum an diesem Abend Dylans „Angebot“ von Tiefgang und musikalischer Vielfalt zwischen viel Spoken Word, Blues, Jazz und Bossa-Nova, einigem älteren Liedgut und neun von zehn „RARW“-Songs immer wieder mit spontanen Standing Ovations zwischen den Songs. Nach 100 Minuten ist die „Pilgerreise“ in Dylans „Zen“ beendet. Dylan steht im übergroßen blauen Jackett und schwarzer Hose und gewohnt angewinkeltem Arm in der Hüfte bühnenmittig da, dreht sich um und geht. Das „Zazen“ ist zu Ende.

KW-44-2025: „Pariser Leinwände“ – Bob Dylan live in Paris 2025 – Review 1st Night/ Konzertkritik, 33.10.25 – Tag 1 von 2 – Text & Fotos von Christof Graf (German & English)

Vom Arc de Triomphe zum Palais des Congrès de Paris, der Kongress- und Veranstaltungshalle im 17. Arrondissement von Paris sind die knapp zwei Kilometer zu Fuß in etwa 20 Minuten zu bewältigen oder man fährt wie am zweiten Abend mit der Metro, dann schafft man es in knapp fünf Minuten.

Noch nie bin ich bei einem Bob Dylan-Konzert zu spät gekommen, aber bei diesem. In Paris ist es einfach, die Zeit zu vergessen oder sich in Entfernungen zu täuschen. Anyway, viele Wege führen in diesem Falle nach Paris und irgendwann ist man trotz aller „rough and rowdy ways“ dort, wo man sein möchte. So elegant und „pariserisch“ die Bezeichnung „Palais des Congrès de Paris“ auch klingt, der Palais ist es nicht. Nach drei Brüsseler Abenden in einem belgischen klassischen und in der Tat außen und innen elegant wirkenden „Bozar“ wirkt das sogenannte „große Amphitheater“ (Grande amphithéâtre) mit 3.723 Sitzplätzen eher nüchtern, wie eine Kongresshalle eben. Beide Abende sind nahezu ausverkauft. Kommt man mit der Metro an, führen die Treppenaufgänge direkt ins Foyer. Kommt man zu Fuß auf die Halle zu, wirkt die Location wie eine dieser typischen Kongresshallen aus den 1970er Jahren. Unspektakulär aber funktional. Nüchtern. Kein Plakat macht darauf aufmerksam, dass hier zwei Tage eine Legende Kunstwerke aufführt. Die angekündigten Kontrollen der Smartphones laufen recht moderat ab. Die Halle wirkt, als könne sie mehr als diese 3723 Sitzplätze anbieten. Als sie um Punkt 20.00 Uhr abgedunkelt wird, erscheinen fünf Musiker auf der danach nicht viel helleren Bühne. Einer davon ist Bob Dylan, die anderen gehören zu seiner derzeitigen „Rough And Rowdy Ways“-Tourband. Was folgt ist mit dem Satz “Same procedure as every year“ aus “Diner For One” zu beschreiben: “Same procedure as every concert this year“. Es gibt keine Veränderung der Setlist gegenüber den letzten diesjährigen Herbst-Konzerten. Dylan „versteckt“ sich hinter seinem Klavier. Er spielt als Einführung mal wieder sitzend, mit dem Rücken zum Publikum jeweils die ersten zwei Minuten der ersten beiden Songs „I’ll Be Your Baby Tonight“ und „It Ain’t Me, Babe“ mit der auf einem Hocker bereitliegenden E-Gitarre. Richtig sehen tun das nur wenige. Wissen tun das diejenigen, die schon RARW-Shows zuvor gesehen haben.

Viel zu sehen gibt es vom Meister seit diesem Sommer kaum noch. Es gibt gar geradezu kaum eine Chance auch nur einen Blick auf den Maestro werfen zu können. Für jene, die das schon von ihm kennen, ist das zwar keine Überraschung aber immer noch Enttäuschung. Für jene, die das zum ersten Mal erleben, ist es Enttäuschung pur. Wer teure Tickets in den ersten Reihen kauft, sieht von Dylan nichts. Die ersten beiden Songs wirken polternd. Sie sind noch etwas unausgesteuert. Um „Dylan live in concert 2025“ dylanesque zu erleben, muss man sich einen neuen eigenen Ansatz suchen. Einige verzichten darauf und verlassen schon nach dem ersten Drittel den Saal. Andere verlassen den Saal für einige Songs, um sich ein Getränk zu genehmigen. Getränke in der Halle sind nicht erlaubt. Wenn sie zurückkommen haben sie showmäßig nichts verpasst. Für sie muss es wirken, als würden sie das Konzert dort weitersehen, wo sie die „Pause-Taste“ gedrückt hatten. Musikmäßig haben sie jedoch wahre Songperlen verpasst, wie z.B. „Crossing The Rubicon“, das Dylan mit Klavierpassagen verziert oder wie z.B. das wie ein „Rap“ an diesem Abend klingende „My Own Version Of You“.

Wenn man weiter oben auf den Rängen sitzt, ist das Kommen und Gehen gut zu beobachten. Die, die als Zeitzeuge von Dylans Entstehen seines musikalischen Gemäldes beiwohnen möchten, stört das Aufstehen müssen. Man kann sogar auf Entfernung vermuten, wie sie Grimassen ziehen, wenn sie aus ihrer Andacht gerissen werden, um jemand fürs Pinkeln oder Biertrinken vorbeizulassen. – 100 Minuten Dylan sind heilig. Da darf nicht gestört werden.

Die 17 Songs in Paris I offerieren ungeachtet der nicht optimalen Akustik einige  Songperlen. Die eine glänzt jedoch etwas mehr als die andere. Perlen sind es schließlich alle, auch wenn Bob Dylan an diesem ersten Pariser Abend nicht alle zum Glänzen bringen konnte. Vielleicht war er müde, vielleicht nicht konzentriert. Einige Songzeilen vernuschelte er schon beim dritten Song, „I Contain Multitudes“. Einige weitere vernuschelt  gleich danach in „False Prohet“. Dem Zusammenspiel mit der wiederum sehr gut aufeinander abgestimmten Band an diesem Abend tut das keinen Abbruch. Die Band „bügelt“ über das „Nuscheln“ drüber. Bei „Black Rider“ klingt das Echo etwas zu hart.

Die erste wahre Songperle in Paris 2025 ist „When I paint My masterpiece”. Selten erlebte ich diesen Song bei meinen bis dahin 19. RARW-Konzerten, derart intim vorgetragen. Dylan inszeniert dieses Lied nicht, er zelebriert es. Er wirft mit seinen Worten Bilder auf eine imaginäre Leinwand in den Köpfen seiner Zuhörer.

Sehen, wer sie singt, tun die Zuhörer sowieso nicht. Viel ist im statisch dunklen Gelb ohne jegliche Schattierungen nicht zu sehen. Zu erkennen sind eigentlich nur stoisch wirkende Schatten, die sich wie in Zeitlupe um den Mann am Klavier dezent bewegen. Vielmehr als Dylans angestrahlter Kopf, der wie das Plattencover der „Greatest Hits Volume 3“ wirkt, ist vom Maestro nicht zu sehen.

Die Bühne wirkt durch die Reduktion des Lichtdesigns kleiner in dieser großen nüchternen Halle, als sie es tatsächlich ist. Mehr Licht gibt es nicht. Selbst an den drei Tagen zuvor im Bozar war es heller und atmosphärisch dichter. In Paris herrschte Dunkelheit. Ebenso wie es keine Lösungsmuster für die Interpretation seiner Texte gibt, ebenso gibt es kein Licht. In all dem Dunkel klingen die eigenen Gedanken beim Zuhören umso „heller“ nach. Ich habe den Eindruck Dylan tritt gerade bei „When I Paint My Masterpiece“ mit dem Publikum in Dialog. Er greift zur Mundharmonika, was die Pariser mit spontanem Applaus goutieren. Später tut er das bei „Desolation Row“ und bei „Very Grain Of Sand“ (also immer bei den älteren Songs) noch einmal. Mit dem Publikum spricht Dylan nicht, weder zu Beginn, währenddessen noch am Ende. Wenn er zur Mundharmonika greift, wirkt das fast wie eine Art „Ersatz-Kommunikation“ mit dem Publikum, das dies sofort mit spontanem Applaus dankend quittiert. Aber zurück zum „Masterpiece“. Beim genauen Hinhören, verstehe ich fast jeden Satz. Dylans Stimme ist bis auf gelegentliches Nuscheln stark, durchdringend und dennoch immer etwas nasal. Beim „Masterpiece“ ist die Stimme glasklar und im Kongresssaal herrscht dabei andächtige Stille. Worte wie „Someday, everything is gonna be smooth like a rhapsody/ When I paint my masterpiece” klingen nach. “Someday, everything is gonna be different/ When I paint my masterpiece” wirken, als würde er mit einem Pinsel seine Worte auf eine Leinwand klatschen. Der Betrachter darf dann quasi zeitgleich in dem daraus entstandenen Bild sehen, was er möchte. Je mehr Dylan-Konzerte ich besuche, umso mehr mache ich mir über die gehörten Lieder Gedanken. Ich lasse sie nachklingen. Die Lieder bekommen von Mal zu Mal eine neue Tiefe, eine Güte, gar eine neue Bedeutung, als ich ihnen irgendwann mal zuvor zugeschrieben hatte oder aber sie behalten ihre alte Bedeutung, quasi als eine Art Bestätigung und Zustimmung für das, was man dem Lied einmal zuschrieben hat. „Masterpiece“ thematisiert schon immer die Unsicherheit und das Streben nach einem idealen Zustand, der alles Negative hinter sich lassen könnte, auch wenn es eine nie endende Suche ist. Dylan beschrieb diesen „idealen Zustand“ einmal als einen Ort „jenseits der eigenen Erfahrung, der so überragend ist, dass man ihn nicht mehr verlassen möchte.“ – Alte  Bedeutung, neue Tiefe aus meiner Sicht der Dinge. – An diesem Abend, liegt dieser Ort zumindest für einen Song lang in Paris. Nirgendwo sonst, habe ich Dylans „Wunsch nach Vollendung“, seine Sehnsucht, ein Meisterwerk zu erschaffen, das die eigene Unsicherheit und bisherige Arbeit abschließt intensiver wahrgenommen als in Paris I. „Masterpiece“ wird zur Einladung in Dylans musikalische Vernissage voller leerer Leinwände. Er groont ein wenig, singt oder spricht die meiste Zeit seine Texte zu Blues, Folk, Country, Latin und Jazz. Sein eigenes Antlitz entzieht er den Blicken. Irgendwie kommt es mir vor, als will er mit den langsamen letzten Liedern „I`ve Made Up My Mind To Give Myself To You“ und „Mother Of Muses“ seine letzten Gemälde des ersten Pariser Abends präsentieren. Mit dem rock`n`roll-haften „Goodbye Jimmy Reed“ wird es laut und schnell. Der „scheppernde“ Sound passt gut zur Nüchternheit des Saales. Zeichen seiner Vielfalt.  – Seit Beginn seiner Karriere versuchte er aus dem Schatten zu treten. Am Ende seiner Karriere tritt er wieder dorthin zurück. Ein paar Momente nach dem letzten Song „Every Grain Of Sand“ steht er vom Klavierhocker auf, geht langsamen Schrittes zur Bühnenmitte, winkt seine Band zu sich und schaut stillschweigend ins jubelnde Publikum. Eine letzte Chance, die Legende für 20 Sekunden schließlich doch noch im Licht der nun für kurze Zeit erhellten Bühne zu sehen. Neben dem Harmonikaspiel und dem Präsentieren seiner imaginären Leinwände ist das die dritte Form und an diesem Abend auch die letzte, mit der er mit dem Publikum „kommuniziert“. – Ich freue mich auf eine weitere Nacht in Paris.

KW-44-2025: „Brussels, I`ve already outlived my life by far“ – Bob Dylan in Brussels 2025 – Review 3rd Night/ Konzertkritik, 28.10.25 – Tag 3 von 3 – von Christof Graf (German & English)

 „Brussels, I`ve already outlived my life by far“ – Bob Dylan in Brussels 2025 – Review 3rd Night/ Konzertkritik, 28.10.25 – Tag 3 von 3 – von Christof Graf (German & English)

Dienstagabend, 28. Oktober 2025, ich schaue auf die Uhr und es ist 22.08 Uhr (10.p.m.). Es ist knapp eine halbe Stunde nach dem dritten Bob Dylan-Konzert in Folge im Bozar in Brüssel in diesem Jahr. Ich fahre aus einer nahegelegenen Tiefgarage und schalte das Navi ein. Vom Palais des Beaux-Arts in Brüssel zum Palais des Congrès in Paris sind es etwa 312 Kilometer. Der Weg führt vom Brüsseler Zentrum durch diverse Stadtteile der belgischen Hauptstadt zum Autobahnring und von dort auf die E19 und die A1 in die französische Hauptstadt. Schon am ersten Kreisverkehr unweit des Bozar sehe ich Bob Dylans Tourbus, der vor mir in den Kreisverkehr einlenkt. Von da an haben Bob Dylan und ich für 20 Minuten den gleichen Weg in Richtung „Brüsseler Ring“. Danach trennen sich unsere Wege und ich werde ihn wohl erst wieder in Paris für weitere 100 Minuten auf der Bühne erleben.

Flashback, Bozar, Dienstagabend, 28. Oktober 2025, 20.00 Uhr. Das Saallicht geht aus. Das Konzert beginnt pünktlich. Die Location, die Bühne, die Band und die Setlist bleiben wieder unverändert. Dylan betritt nach Doug Lancio und Tony Garnier wieder als dritter die Bühne. Dann nimmt Anton Fig an seinem Schlagzeug Platz und Bob Britt geht auf seinen Gitarrenständer zu. Dylan schaut nicht ins Publikum, dafür aber sofort zu seinen musikalischen Mitstreitern. Allen voran richtet er den Blick zu Tony Garnier. Der nickt zurück. Dylan setzt sich – wie an den Vorabenden mit dem Rücken zum Publikum – auf den Klavierstuhl. Er greift zu seiner auf einer kleinen Sitzbank liegenden Gitarre und beginnt mit „I´ll Be Your Baby, Tonight“. Jene, die bereits an einem oder gar an beiden der Vorabendkonzerte schon im Bozar anwesend waren, konnten schon zu Beginn den Eindruck bekommen, Dylan fühlt sich wohl, fühlt sich gut. Willkommen, war er definitiv. Das Publikum bejubelte ihn frenetisch bereits beim Betreten der Bühne und danach noch einmal beim Erkennen der ersten Textzeilen frenetisch. Von da an gab es nach jedem Song Standing Ovations und manchmal sogar mitten im Song begeistertes Applaudieren. Die gute Laune des Publikums übertrug sich schnell auf die Spielfreude von Bob und seiner Band.

Der Besuch eines dritten Konzertes in Folge eröffnet dem Zuhörer neue Sichtweisen auf das präsentierte Liedgut. Auch wenn es dieselben Lieder sind, man hört sie anders. Man achtet auf Anderes. Mir fällt auf, dass Dylan an diesem Abend die Texte viel akzentuierter vorträgt. Bei vielen Songs spürt man geradezu, wie wichtig es Dylan zu sein scheint, dass man sich auf sein Konzert einlässt und wie dankbar er zu sein scheint, wenn dies geschieht.  Diese Einlassung erfährt man an diesem Abend des Öfteren und besonders bei dem epischen „Key West“. Dabei vermittelt Dylan seinem Brüsseler Publikum als der erzählende „Philosopher Pirate“ seine Gedanken in Form einer Reflexion über die Vergangenheit. Streckenweise wirkt er wie ein Professor, der seinen Studenten Sichtweisen zum Angebot macht. Das Publikum im wieder ausverkauften Bozar ist bei seinen „Vorlesungen“ nicht nur aufmerksamer Zeuge, sondern auch dankbarer Zuhörer. Jeder Song wird nach Beendigung geradezu enthusiastisch mit Klatschen und respektvollen Jubelrufen gefeiert. Bejubelt wird dabei aber auch die Band, die sich gerade bei diesem Lied auffällig vornehm zurücknimmt. Tony und Anton sorgen dezent für Rhythmus und Doug Lancio (wieder mit Schiebermütze) und Bob Britt streuen gelegentliche Gitarrenklänge in den zehnminütigen Vortrag ein. Alle und Alles wirken höchst konzentriert. Selbst das Publikum (wieder vor allem aus Boomern bestehend) konzentriert sich und lässt sich tiefer auf Dylans Performance ein als das Publikum der Vorabende. Der Saal ist ebenso abgedunkelt und die Bühne ebenso eindimensional dunkelrot-gelb beleuchtet wie am zweiten Brüsseler Abend. Der Sound ist noch besser, geradezu perfekt abgemischt. Dylans Stimme wirkt glasklar und man versteht von den Texten mehr als an den Abenden zuvor. Zeilen, wie „I´ve grown so tired of chasing lies/ Mother of Muses wherever you are/ I`ve already outlived my life by far” klingen nach. Auch ein kleines Echo bei “Black Rider” ist zu hören. Dylan ist in seinen Elementen. Er gibt nur zweimal ein kurzes Handzeichen an Bob Britt, als kleine „Vorwarnung“ bei den da kommenden Zeilen auf gar keinen Fall auch nur einen Ton zu viel zu spielen. Britt setzt das Handzeichen verstehend und nickend um. Die Güte eines Konzerterlebnisses aus Publikumssicht hängt auch immer vom Sitzplatz, von der Sicht und von der Umgebung ab. Auch die war am dritten Brüsseler Abend zumindest für mich geradezu perfekt. Am dritten Abend sitze ich auf dem ersten Balkon und schaue stage-left auf die Bühne. Ich entdecke neue Details. Zwei Becher stehen links von Dylan auf einem Beistelltisch. Hin und wieder nimmt er daraus einen Schluck. Dylan ist wieder ganz in Schwarz gekleidet. Schwarzes T-Shirt unter schwarzem Anzug, schwarze Schuhe, schwarze Socken. Auch der Rest der Band trägt schwarz. Bei den schnelleren Songs wippt Dylan mit dem linken Bein kontinuierlich im Takt. Bei den ersten zwei Songs greift Dylan zur Gitarre. Bei den vier Songs, „When I Paint My Masterpiece“, „To Be Alone With You”, “Desolation Row” und beim finalen “Every Grain Of Sand” spielt er streckenweise Mundharmonika. Das Konzert unterliegt einer gewissen Dramaturgie mit wenigen lauteren, schnelleren Nummern wie z.B. „Goodbye Jimmy Reed“ und vorwiegend leiseren, langsamen Nummern. Eine kleine Überraschung: Dylans Gesicht ist in hellem unaufdringlichem Licht den ganzen Abend zu sehen. Die im Parterre Sitzenden sehen das nur, wenn er alle zwei, drei Songs kurz aufsteht. Die auf den Balkonen Sitzenden erleben im Vergleich zu den Vorabenden ein geradezu ungewohnt angestrahltes Gesicht von Bob Dylan. Die etwas näher Sitzenden sehen sogar das Verziehen seines Mundes, das Fletschen seiner Zähne, wenn er Worte in die Länge zieht oder sie einfach nur staccatoartig herauspresst. Und bei manchen Versen erkennt man auch ein Lächeln, ein Schmunzeln und manchmal sogar fast schon ein kleines Lachen, über sein eben vorgetragenes Wort. Die Phrasierung der Stimme ist präzise. Der dritte Brüsseler Abend wirkt entspannt und motiviert. Sobald Dylan keine Anfangsschwierigkeiten wie z.B. am ersten Brüsseler Abend erlebt, das Mikrofon richtig positioniert ist, der Saalklang optimal ist und das Publikum im Sinne Dylans richtig reagiert, scheinen alle Voraussetzungen für seine Spielfreude optimal erfüllt zu sein. Es kommt etwas auf, was man als sich kontinuierlich steigernde atmosphärische Dichte beschreiben könnte. Erlebt Dylan eine solche kontinuierlich hochwertige Stimmung, scheint sich diese von Song zu Song auch ebenso kontinuierlich hochwertig in ihrer Darbietung zu entwickeln. Das Wechselspiel zwischen Kunst, Künstler und Publikum wird zur Melange und für alle Beteiligte zu einem gelungenen Abend. An diesem Abend ist alles gelungen. Eine Erwartungshaltung an „Paris“ habe ich nicht, Vorfreude ist allerdings schon vorhanden. See you in Paris.

 

KW-44-2025: „Brussels, I`ve already outlived my life by far“ – Bob Dylan in Brussels 2025 – Review 3rd Night/ Konzertkritik, 28.10.25 – Tag 3 von 3 – von Christof Graf ( English)

Tuesday evening, October 28, 2025, I look at the clock and it is 10:08 p.m.. It’s just under half an hour after the third Bob Dylan concert in a row at the Bozar in Brussels this year. I drive out of a nearby underground car park and switch on the navigation system. From the Palais des Beaux-Arts in Brussels to the Palais des Congrès in Paris it is about 312 kilometers. The route leads from the centre of Brussels through various districts of the Belgian capital to the motorway ring road and from there on the E19 and the A1 to the French capital. Already at the first roundabout not far from the Bozar I see Bob Dylan’s tour bus, which turns into the roundabout in front of me. From then on, Bob Dylan and I have the same route towards the „Brussels Ring“ for 20 minutes. After that, we part ways and I will probably see him again in Paris for another 100 minutes on stage.

Flashback, Bozar, Tuesday evening, October 28, 2025, 8:00 p.m.. The hall lights go out. The concert starts on time. The location, the stage, the band and the setlist remain unchanged again. Dylan re-enters the stage in third place after Doug Lancio and Tony Garnier. Then Anton Fig takes a seat at his drum kit and Bob Britt walks up to his guitar stand. Dylan doesn’t look at the audience, but immediately at his musical comrades-in-arms. Above all, he directs his gaze to Tony Garnier. He nods back. Dylan sits down on the piano chair – as on the previous evenings with his back to the audience. He grabs his guitar lying on a small bench and starts with „I’ll Be Your Baby, Tonight“. Those who were already present at one or even both of the previous evening’s concerts at the Bozar could get the impression right from the beginning that Dylan feels comfortable, feels good. Welcome, he definitely was. The audience cheered him frenetically as soon as he entered the stage and then again frenetically when recognized the first lines of the lyrics. From then on, there were standing ovations after each song and sometimes even enthusiastic applause in the middle of the song. The good mood of the audience quickly transferred to the joy of playing of Bob and his band.

Attending a third concert in a row opens up new perspectives on the songs presented to the listener. Even if they are the same songs, you hear them differently. You pay attention to other things. I notice that Dylan performs the lyrics much more accentuated this evening. With many songs you can almost feel how important it seems to be to Dylan that you get involved in his concert and how grateful he seems to be when this happens.  This statement is often heard this evening and especially during the epic „Key West“. As the narrating „Philosopher Pirate“, Dylan conveys his thoughts to his Brussels audience in the form of a reflection on the past. At times, he seems like a professor who offers his students perspectives. The audience in the sold-out Bozar is not only an attentive witness to his „lectures“, but also a grateful listener. After completion, each song is celebrated almost enthusiastically with clapping and respectful cheers. But the band is also cheered, which is conspicuously distinguished especially during this song. Tony and Anton discreetly provide rhythm and Doug Lancio (again with flat cap) and Bob Britt sprinkle occasional guitar sounds into the ten-minute lecture. Everyone and everything seem highly concentrated. Even the audience (again consisting mainly of boomers) concentrates and engages more deeply with Dylan’s performance than the audience of the previous evenings. The hall is just as darkened and the stage is just as one-dimensionally lit in dark red and yellow as on the second evening in Brussels. The sound is even better, almost perfectly mixed. Dylan’s voice seems crystal clear and you understand more of the lyrics than on the evenings before. Lines like „I`ve grown so tired of chasing lies/ Mother of Muses wherever you are/ I‘ ve already outlived my life by far“ resonate. A small echo of „Black Rider“ can also be heard. Dylan is in his element. He only gives Bob Britt a short hand signal twice, as a small „warning“ not to play even one note too many on the following lines. Britt implements the hand signal, understanding and nodding. The quality of a concert experience from the audience’s point of view always depends on the seat, the view and the surroundings. This was also almost perfect on the third evening in Brussels, at least for me. On the third evening, I sit on the first balcony and look stage-left at the stage. I discover new details. Two mugs stand on a side table to Dylan’s left. Every now and then he takes a sip from it. Dylan is dressed all in black again. Black T-shirt under black suit, black shoes, black socks. The rest of the band also wears black. During the faster songs, Dylan bobs his left leg continuously to the beat. For the first two songs, Dylan picks up the guitar. On the four songs, „When I Paint My Masterpiece“, „To Be Alone With You“, „Desolation Row“ and the final „Every Grain Of Sand“ he plays harmonica at times. The concert is subject to a certain dramaturgy with a few louder, faster numbers such as „Goodbye Jimmy Reed“ and mainly quieter, slow numbers. A little surprise: Dylan’s face can be seen in bright, unobtrusive light all evening. Those sitting on the ground floor only see this when he gets up briefly every two or three songs. Compared to the previous evenings, those sitting on the balconies experience an almost unusually illuminated face of Bob Dylan. Those sitting a little closer even see the twisting of his mouth, the baring of his teeth when he drags out words or simply squeezes them out in a staccato manner. And in some verses you can also see a smile, a smile and sometimes even a little laugh about his just recited word. The phrasing of the voice is precise. The third evening in Brussels seems relaxed and motivated. As soon as Dylan does not experience any initial difficulties such as on the first evening in Brussels, the microphone is positioned correctly, the hall sound is optimal and the audience reacts correctly in Dylan’s sense, all the prerequisites for his joy of playing seem to be optimally fulfilled. Something arises that could be described as a continuously increasing atmospheric density. If Dylan experiences such a continuously high-quality atmosphere, it seems to develop from song to song just as continuously high-quality in her performance. The interplay between art, artist and audience becomes a melange and a successful evening for all involved. On this evening, everything was successful. I don’t have any expectations of „Paris“, but anticipation is already there. See you in Paris.

 

 

 

 

KW-44-2025: Bob Dylan live in Brüssel 2025 – „Brussels, but it`s not the same  – it was a minute ago“ – Bob Dylan in Brussels 2025 – Review 2nd  Night/ Konzertkritik, 27.10.25 – Tag 2 von 3 – von Christof Graf (German & English)

„Brussels, but it`s not the same  – it was a minute ago“ – Bob Dylan in Brussels 2025 – Review 2nd  Night/ Konzertkritik, 27.10.25 – Tag 2 von 3 – von Christof Graf (German & English)

Drei Konzertabende von Bob Dylan an aufeinanderfolgenden Tagen in einer Stadt gibt es bei der „RARW“-Europe-Tour 2025 nur im walisischen Swansea und im belgischen Brüssel. Ich wohnte heute dem zweiten Brüsseler Abend bei. Die Location, die Bühne, die Band und die Setlist blieben unverändert. Auch das Publikum bestand wie am Vorabend vorwiegend aus Boomern. Einige hatte man schon am gestrigen Abend gesehen. Doch trotz unveränderter Setlist bleibt das Konzert nicht unverändert, … es ist „not the same – it was a minute ago“, wie es treffend in „Black Rider“ heißt. Als Pilgerreisender zu Dylans Andachten achtet man gerne auf Details und Nuancen. An einem auf den anderen folgenden Konzertabend öffnet sich ein weiterer Raum für die Pilgereise in das Innere von Dylans Songs.

Die „Conclusio“ zuerst: „Things aren`t what they were”. Wäre Dylan einer dieser vielen  Mural-Maler aus Montreal, mit dem Auftrag binnen 100 Minuten ein Wandbild anzufertigen, das Werkstück wäre an diesem Abend fertig geworden und perfekt. Wäre Dylan ein Restaurator für ein Möbelstück aus den Swinging 6oies, der den Auftrag hat, binnen 100 Minuten ein beschädigtes Sideboard zu reparieren, das Kunstwerk wäre an diesem Abend fertig geworden und perfekt. Dylan aber ist Singer/ Songwriter, aber auch Handwerker und Künstler. An Tag 2 von 3 in Brüssel hat „Dylan in concert“ mal wieder ein musikalisches wie leider auch vergängliches Meisterstück abgeliefert. Aus meiner Sicht war es fertig und perfekt. Allen voran war der Sound von Anfang an perfekt. Dylans Stimme war in Form. Er griff auf der Suche nach dem Mikrofon nicht ins Leere wie manchmal am Vorabend. Dylans Instrumentierung war im Zusammenspiel mit seiner vierköpfigen Band wieder mal tadellos und über weite Strecken verstand man besonders bei den „Spoken Word“-Songs fast jede Zeile. Am Vorabend brauchte Dylan vier bis fünf Songs, um ein einheitliches Bild seines derzeitigen Konzertformates in die Ohren und Köpfe seiner Zuhörer zu projizieren. Am Tag 2 von 3 in Brüssel gelang ihm dies aus dem Stand heraus. Sound und Stimme waren wirklich geradezu perfekt. Der Opener-Song „I`ll Be Your Baby, Tonight“ wurde quasi zum Motto des Abends. Und wieder liegen die Unterschiede gleich anmutender Konzertformate in Details. Dylan betritt wieder die Bühne ohne Begrüßung. Er trägt wieder seinen schwarzen Anzug. Er richtet wieder keinen Blick ins Publikum. Er setzt sich an sein Klavier und wirkt, als würde er zunächst nur für sich selbst spielen.  Auch der zweite Song „It Ain’t Me, Babe“, – wieder ein Klassiker – kommt ohne nostalgische Attitüde aus. Dylan spielt die Songs nicht, weil sie Klassiker sind, sondern, weil er sie scheinbar derzeit gerne spielen möchte. Diese Spielfreude ist wohl auch Spiegelbild seiner jeweiligen Tagesform. Heute steigert sie sich nach dem weniger spielfreudigen Konzert am Vortag von Song zu Song. Sein Piano-, Gitarren- und Mundharmonikaspiel entfaltet sich zwischen Blues, Folk und cooljazz-artigem Spokenword-Style mit einem Schuss Bossa Nova. Die Band unterstützt im Hintergrund. Sie bleibt diskret und nimmt sich immer dann meisterhaft zurück, wenn der Meister selbst in seinem Element ist. Wieder wird „When I Paint My Masterpiece“ – mit Bob zum zweiten Mal an diesem Abend an der Gitarre – zu einem „Masterpiece“. Erwähnenswert aber nicht wirklich dem Konzert zuträglich ist: Dylan bleibt bis zu „Masterpiece“ sitzen, steht erst für „Masterpiece“ kurz auf, um dem Publikum vielleicht das Gefühl zu geben, er bemühe sich, sich nicht ständig in der Dunkelheit hinter seinem Klavier verstecken zu wollen. Dylan spielt lauter und schneller an diesem Abend. Die Bühne wechselt kaum das Licht. Alles bleibt in dunklem Grün. Die großen Scheinwerfer bleiben ausgeschaltet. Die kleinen Scheinwerfer offerieren eine Art abendliche Wohnzimmer-Atmosphäre. Hausmusik ist angesagt und Dylan spielt den Impresario, dem man beim häuslichen Musizieren zuhören darf. Wäre der Saal im BOZAR nicht ausverkauft, könnte man den Eindruck gewinnen, Dylan und seine Band machen eine gutgelaunte Warm-Up-Home-Session für die nächste Show. – „We don`t dare to miss it.“ – Nein, dieses Konzert ist nicht wie das vorangegangene. Dylan scheint sich selbst beweisen zu wollen, dass schlechten Spiellaunen auch gute Spiellaunen folgen können. Bei „Watching The River Flow“, greift er zum dritten Mal an diesem Abend zur Gitarre.

Nach 100 Minuten endet das Konzert wieder mit „Every Grain of Sand“. Bob Dylan zeigt sich für 20 Sekunden vor seinem Klavier, bevor er wortlos wieder verschwindet. Der Saal jubelt und offeriert Standing Ovations und hofft auf eine Zugabe. Das Saallicht bleibt unverhältnismäßig lange ausgeschaltet. Dann geht das Licht an und ein kurzer Moment der Hoffnung auf eine „Zugabe“ verschwindet, so wie auch Dylan verschwand. Der Abend war anders, wieder einmal anders und vor allem „not the same“, aber dann war Dylan weg – „it was a minute ago“, als er noch auf der Bühne stand. – Morgen wird er wieder dort stehen. Wieder wird es heißen: „Things aren`t what they were”. – Das beste Gefühl von Echtheit, das uns Bob Dylan vermitteln kann.

 

KW-44-2025: „Brussels, but it`s not the same  – it was a minute ago“ – Bob Dylan in Brussels 2025 – Review 2nd  Night/ Konzertkritik, 27.10.25 – Tag 2 von 3 – von Christof Graf (English)

Three Bob Dylan concert evenings on consecutive days in one city will only take place in Swansea, Wales, and Brussels, Belgium, on the „RARW“ Europe Tour 2025. I attended the second evening in Brussels today. The location, the stage, the band and the setlist remained unchanged. As on the previous evening, the audience consisted mainly of boomers. Some had already been seen yesterday evening. But despite the unchanged setlist, the concert does not remain unchanged, … it’s „not the same – it was a minute ago“, as it is aptly said in „Black Rider“. As a pilgrim to Dylan’s devotions, you like to pay attention to details and nuances. On one concert evening after the other, another space opens up for the pilgrimage into the interior of Dylan’s songs.

The „conclusion“ first: „Things aren’t what they were“. If Dylan were one of those many mural painters from Montreal with the order to create a mural within 100 minutes, the workpiece would have been finished and perfect that evening. If Dylan were a restorer for a piece of furniture from the Swinging 6oies, who has the task of repairing a damaged sideboard within 100 minutes, the work of art would have been finished that evening and perfect. Dylan, however, is a singer/songwriter, but also a craftsman and artist. On day 2 of 3 in Brussels, „Dylan in concert“ once again delivered a musical and unfortunately also ephemeral masterpiece. From my point of view, it was finished and perfect. First and foremost, the sound was perfect from the beginning. Dylan’s voice was in form. He did not reach into the void in search of the microphone as he sometimes did the night before. Dylan’s instrumentation was once again impeccable in the interaction with his four-piece band and for long stretches you could understand almost every line, especially in the „spoken word“ songs. On the evening before, Dylan needed four to five songs to project a uniform picture of his current concert format into the ears and minds of his listeners. On day 2 of 3 in Brussels, he managed to do so from a standing start. Sound and voice were really perfect. The opener song „I’ll Be Your Baby, Tonight“ became the motto of the evening. And again, the differences between concert formats that seem the same lie in the details. Dylan re-enters the stage without greeting. He wears his black suit again. Again, he doesn’t look at the audience. He sits down at his piano and looks as if he is playing only for himself at first.  The second song „It Ain’t Me, Babe“, – again a classic – also gets by without nostalgic attitude. Dylan doesn’t play the songs because they are classics, but because he seems to want to play them at the moment. This joy of playing is probably also a reflection of his form on the day. Today, after the less playful concert the day before, she increases from song to song. His piano, guitar and harmonica playing unfolds between blues, folk and cool jazz-like spoken word style with a dash of bossa nova. The band supports in the background. She remains discreet and always takes a masterly back when the master himself is in his element. Again, „When I Paint My Masterpiece“ – with Bob on guitar for the second time this evening – becomes a „masterpiece“. Worth mentioning, but not really conducive to the concert: Dylan stays seated until „Masterpiece“, only gets up briefly for „Masterpiece“ to perhaps give the audience the feeling that he is trying not to hide behind his piano in the darkness all the time. Dylan plays louder and faster this evening. The stage hardly changes the light. Everything remains in dark green. The large headlights remain switched off. The small spotlights offer a kind of evening living room atmosphere. House music is the order of the day and Dylan plays the impresario, whom you can listen to making music at home. If the hall at BOZAR wasn’t sold out, you might get the impression that Dylan and his band are doing a good-humoured warm-up home session for the next show. – „We don’t dare to miss it.“ – No, this concert is not like the previous one. Dylan seems to want to prove to himself that bad playing moods can also be followed by good playing moods. On „Watching The River Flow“, he picks up the guitar for the third time this evening.

After 100 minutes, the concert ends again with „Every Grain of Sand“. Bob Dylan appears in front of his piano for 20 seconds before disappearing again without a word. The hall cheers and offers standing ovations and hopes for an encore. The hall lights remain switched off for a disproportionate amount of time. Then the light goes on and a brief moment of hope for an „encore“ disappears, just as Dylan disappeared. The evening was different, once again different and above all „not the same“, but then Dylan was gone – „it was a minute ago“ when he was still on stage. – Tomorrow he will be there again. Again it will be: „Things aren’t what they were“. – The best feeling of authenticity that Bob Dylan can give us.

KW-44-2025: Bob Dylan live in Brüssel 2025 – „Brussels is the place to be“ – Bob Dylan in Brussels 2025 – Review 1st  Night/ Konzertkritik, 26.10.25 – Tag 1 von 3 – von Christof Graf (German & English)

KW-43-2025: Bob Dylan live in Brüssel 2025 – „Brussels is the place to be“ – Bob Dylan in Brussels 2025 – Review 1st  Night/ Konzertkritik, 26.10.25 – Tag 1 von 3 – von Christof Graf (German & English)

Konzerte von Bob Dylan in Europa sind anders als in Amerika. Woran es liegt? Man weiß es nicht? Oder doch? Nach einigen Shows in den USA in diesem Jahr wage ich die These aufzustellen, dass die Europäer mit den handyfreien Shows seit Beginn der „Rough And Rowdy Ways – World Wide Tour im Jahre 2021, nicht besser, aber eben anders umgehen. Die Kategorien gut, besser oder am besten gibt es bei Bob Dylan nicht. Und das eh nur subjektive Urteil, von wem auch immer, ob ein Dylan-Konzert gut oder schlecht war, entzieht sich meiner Meinung nach jeglicher Relevanz. Dylan ist Künstler und seine Kunst ist ein Handwerk. Kein Werkstück eines Handwerkers oder gar eines Künstlers gleicht dem anderen. Das ist es, was ein Dylan-Konzert ausmacht. Und dort, wo es stattfindet, ist der „place to be“, wie es in einem von Dylans „Rough And Rowdy Ways“-Songs („Key West“) heißt.  Am 26. Oktober 2025 war der „place to be“ in der belgischen Hauptstadt und im Herzen Europas, in Brussels, wenn man Zeuge der Aufführung eines künstlerischen Handwerks von Bob Dylan sein wollte.

Und ja, auch der Umgang des Publikums mit Bob Dylan wirkt in Europa wie auch in Brussels auf mich etwas „anders“.

Für viele Amerikaner verkörpert Dylan den kritischen, unabhängigen Geist der Nation – jemanden, der sich nicht vereinnahmen lässt und den „American Dream“ immer wieder hinterfragt. Das amerikanische Publikum reagiert oft mit Respekt, aber auch mit Frustration – Dylan ist in den USA mehr Legende als Liebling, was man in diesem Jahr bei seinen Solo-Auftritten wie auch bei seiner Teilnahme der dreiteiligen „Outlaw-Festival-Tour“ mit Willie Nelson & Co. im Frühjahr, Sommer und Herbst miterleben konnte. Wenn Amerikaner zu Dylans Auftritten bei der „Outlaw-Tour“ pilgern, ist Dylan – eben neben Willie Nelson oder auch Lucinda Williams, Wilco oder Sheryll Crow einer von mehreren, die den Geist der „Americana“ verkörpern. Während den Auftritten wird lauthals mitgesungen oder Bier geholt oder in eine Pizza gebissen. Ruhig auf dem Sitz geblieben wird da nicht. Und Cellphones, werden – zumindest bei den „Outlaw-Gigs“ – auch nicht weggesperrt.

In Europa wird Dylan stärker als Dichter und intellektueller Künstler wahrgenommen. Seine Sprache, Symbolik und seine Verbindung zur europäischen Literatur (Rimbaud, Brecht, Shakespeare) wird gerne hervorgehoben. Die Verleihung des Literaturnobelpreises 2016 wurde in Europa sehr positiv aufgenommen – in den USA war sie eher umstritten.

In Europa sehen Fans Dylan oft weniger als amerikanischen Protestmusiker, sondern als universellen Beobachter der menschlichen Erfahrung. Seine Lieder werden gerne als zeitlose Poesie verstanden, nicht nur als Kommentare zur US-Gesellschaft. Und: Bei Konzerten in Europa herrscht oft eine fast ehrfürchtige, geradezu andächtige Stimmung, wie es auch beim ersten von drei Brussels Abenden mit Bob Dylan der Fall war. Jene, die sich auf sein derzeitiges Œuvre einlassen, erwarten keinen „Entertainer aus dem gerade angesagten Musikbusiness“ und auch keine Gallionsfigur der „Americana“, sondern einen Meister, der sich künstlerisch ausdrückt, so wie er es gerade will oder kann.
Ich weiß nicht, wie das Publikum und die künstlerische Darbietung Dylans beim Europa-Tourstart in Helsinki und bei den bisherigen Konzerten in Stockholm, Kopenhagen, Hamburg und Lingen waren, aber ich weiß, dass die Setlist in Brussels nicht anders war. Die derzeitigen Konzerte gleichen einander sehr. Die Setlists sind geradezu identisch. Und dennoch ist jeder Abend etwas anders.

Die Location

Es war keine Sporthalle und auch keine Arena, in der über 10.000 Besucher Platz finden. Das Konzert fand im Hauptsaal, des zwischen 1922 und 1929 erbauten und im Jugendstil gehaltenen Gebäudekomplex unweit vom Großen Markt im Herzen Brussels statt. Dylan trat im Henry-Le-Boeuf-Saal vor ausverkauften 2200 Sitzplätzen auf. Das Konzert begann pünktlich um 20.00 Uhr und dauerte etwa 100 Minuten. Die regulären Ticketpreise für das Konzert von Bob Dylan im BOZAR (Brüssel) variierten zwischen € 75 (Listening Seats) sowie € 125, € 150 für Standardplätze und € 200 für den Balkon. Auf dem Schwarzmarkt wurden die Tickets sogar für € 900 pro Ticket gehandelt. Der Saal ist einem klassischen Theater nachempfunden. Es gibt Parterre und drei Balkonetagen.

Die Bühne

Eine Bühnenshow hat es bei Dylan noch nie gegeben. Eine Show im herkömmlichen gegenwärtigen Sinne mit Videoleinwänden und technischem Schnick-Schnack ist bei Dylan ohnehin undenkbar. Er und sein Handwerk sind sich selbst genug. Aus dem Dunkel betritt er die in nur schummeriges Club-Licht getauchte Bühne als letzter der fünf Musiker. Viel heller wird es nicht werden. Ein samtener Vorhang hängt in eleganten Bahnen von den Bühnenelementen herunter. Quer wie Girlanden herunterhängende Teaservorhänge lassen die Bühnendecke weniger hoch erscheinen. Mal wirkt der Hintergrund dunkelgrün, mal dunkelblau, mal dunkelgelb. Dylans Piano ist bühnenmittig aufgebaut. Links hinter ihm stehen das Schlagzeug von Anton Fig und der Standup-Bass von Tony Garnier. Links und rechts vorne die Gitarristen Bob Britt (rechts) und Doug Lancia (links) mit Schiebermütze. Zwei der bereits oft gesehenen großen Hollywood-Scheinwerfer, jeweils zwei kleinere links und rechts und drei Stehlampen projizieren eher Dunkel als Licht auf den Bühnenboden. Dylan verbarrikadiert sich hinter seinem schwarzen Piano. Neu in Brüssel: seitdem er zu Beginn des dritten Teils der „Outlaw-Tour“ in Bangor/ Mayne/ USA einschließlich bis zu den ersten Konzerten in Europa ausschließlich im Jogging-Anzug-Modus mit Hoody auftritt, trägt er am ersten Brüsseler Abend wieder Anzug. Schwarz mit dunklem Hemd, ohne Hut. Auch die vier anderen sind dunkel gekleidet. Fast bei jedem Lied steht Dylan mindestens einmal kurz auf. Den Rest der Zeit verbringt er bei 17 Liedern im Sitzen. Die Band wird nicht vorgestellt. Ein Wort ans Publikum, wenn auch nur in Form eines „Well, thank you“, so gehört in Hamburg, wird auch nicht gerichtet. In seinen Songs sind Worte genug. Nach dem letzten Song „Every Grain Of Sand“, bei dem Dylan dann nach „To Be Alone With You“, „Watching The River Flow”, “It`s All Over Now, Baby Blue” und “Goodbye Jimmy Reed” noch einmal zur Mundharmonika greift steht Dylan ein letztes Mal auf, stellt sich für einen Moment von knapp 20 Sekunden mit seinen Musikern einem etwas helleren Licht und macht eine Andeutung einer kleinen künstlerischen Verbeugung. Dann geht Dylan mit langsamen Schritten eines alten Handwerkers nach getaner Arbeit dorthin zurück, woher er gekommen ist: Ins Dunkel des Backstage-Bereiches. Das Saallicht geht an. Das Publikum verlässt artig, wohl auch beeindruckt davon, Zeuge eines musikalischen Werkes gewesen zu sein, den Saal. Ob es ein gutes oder ein schlechtes Konzert gewesen ist, ist völlig irrelevant. Relevant ist, dass es stattgefunden hat und man wieder einmal Zeitzeuge war.

Das Publikum

Es besteht aus knapp 2000 jüngeren und älteren Boomern. Einige aus der Generation Z sind auch dabei. Jüngere gab es kaum. Alle scheinen irgendwie ihre eigene Reise hinter sich gebracht zu haben. Neben Dylanmaniacs, Dylanologen, Dylanianer und Dylanreisebegleiter aus Brüssel, Belgien höre ich im Vorraum, beim Anstehen, um das Cellphone in die Yondr-Pockets verschließen zu lassen außerdem noch Deutsche, Amerikaner, Franzosen, Niederländer, Engländer und Luxemburger vorangegangene Konzerterinnerungen austauschen.

Die Band

Bob Dylan – guitar, baby grand piano, harp

Tony Garnier – electric and standup bass

Anton Fig – drums

Bob Britt – acoustic guitar, electric guitar

Doug Lancio – acoustic guitar, electric guitar

Das Konzert

Die Setlist ist unverändert. Sie ist identisch mit den bisherigen europäischen Setlists in diesem Jahr. Es hat drei, bis vier Songs gedauert, bis der Saal akustisch ausgesteuert war.

Der “Opener” I’ll Be Your Baby Tonight” kommt etwas unglücklich herüber. Mal vernuschelt Bob den Song, mal scheint das Mikrofon zu weit entfernt zu sein. Der Rest des ein wenig missglückten Konzerteinstiegs geht auf die Rechnung des Toningenieurs. „It Ain’t Me, Babe”, meint Bob im zweiten Song, greift zur Gitarre und wendet dabei sitzend dem Publikum den Rücken zu. Sieht nicht schön aus, ist Bob aber egal. Wirkt wohl auch etwas unhöflich, wie er da fast abseits des Geschehens und dennoch mittendrin zu sein scheint. Bob scheint aber auch das egal zu sein. Zum Ausgleich hat man die Ehre, ihn Gitarre spielen zu hören. Wohl gemerkt: zu hören. Zu sehen bekommen Bob Dylan live on stage nur wenige der 2200. Die in den vorderen Parterre-Reihen sitzenden sehen 100 Minuten eh nur das Schwarz der Piano-Rückwand an. Hin und wieder schaut Dylans Haarschopf heraus. Die hinteren Reihen haben nicht mal die Chance, das erleben zu dürfen. Dylan inszeniert Zuhör-Zwang ohne Sicht par excellence. Die „RARW“-Songs “I Contain Multitudes” und “False Prophet”, “Black Rider” und später auch “Key West” klingen leise, wirken wie Vorlesungen mit etwas Klang. Sie sind spoken-words mit sparsamen Klaviertönen. Es gibt kaum ein Solo der Gitarristen. Das höchst konzentrierte Schlagzeugspiel von Anton Fig ist perfekt auf Dylans Sprechgesang abgestimmt.

Von den zehn „RARW“-Songs spielt er neun. Das 17minütige „Murder Must Foul“ wartet noch immer darauf live dargeboten zu werden. Dafür gibt es immerhin Reminiszenzen an die 1960er Jahre. Doch jene Songs sind in Brüssel erst nach ein bis zwei Minuten Spielzeit als diese zu erkennen. Zu sehr werden Songs wie „It Ain`t Me, Baby“, „Desolation Row“ und „It`s All Over Now Baby Blue” geradezu dearrangiert. Musikalisch überschreitet Dylan gerne auch mal die Genre-Grenzen und offeriert zwischen Rock, Blues und Folk auch etwas Bossa-Nova-haftes und Freejazz-mäßiges. „To Be Alone With You“ wird gar zur Tanzmusik und bei „Watching The River Flow” zelebriert Dylan den Blues mit Mundharmonika. Der musikalische Höhepunktvwar mich an diesem Abend bereits im ersten Drittel mit „When I paint My Masterpiece“ zu hören. Es klang ungewohnt leicht swingend und entzückt verspielt und Dylan trieb es erneut, wenn auch nur sitzend an die Gitarre.

Die Setlist :

  1. I’ll Be Your Baby Tonight (Bob on baby grand piano)
  2. It Ain’t Me, Babe (Bob on guitar and baby grand piano)
  3. I Contain Multitudes (Bob on baby grand piano)
  4. False Prophet (Bob on baby grand piano)
  5. When I Paint My Masterpiece (Bob on guitar then baby grand piano)
  6. Black Rider (Bob on baby grand piano)
  7. My Own Version Of You (Bob on baby grand piano)
  8. To Be Alone With You (Bob on baby grand piano)
  9. Crossing the Rubicon (Bob on baby grand piano)
  10. Desolation Row (Bob on baby grand piano)
  11. Key West (Philosopher Pirate) (Bob on baby grand piano)
  12. Watching the River Flow (Bob on baby grand piano)
  13. It’s All Over Now, Baby Blue (Bob on baby grand piano)
  14. I’ve Made Up My Mind To Give Myself To You (Bob on baby grand piano)
  15. Mother of Muses (Bob on baby grand piano)
  16. Goodbye Jimmy Reed (Bob on baby grand piano and harp)
  17. Every Grain of Sand (Bob on baby grand piano and harp)

Quelle: boblinks.com

Conclusio :

Mit dem Tribut „Goodbye Jimmy Reed” und dem finalen “Every Grain of Sand”, das Dylan nochmals mit einem Mundharmonika-Solo in Szene setzte, endet der erste von drei Konzert-Abenden in Brüssel. – Fazit: Kein gutes, aber auch kein schlechtes Konzert, Brüssel aber war „der place tob e“ an diesem Abend.